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Ambivalenzen
01.März 2022 | Beiträge – jüdisches berlin | Gedenken, Gesellschaft
Gedanken zum diesjährigen Holocaust-Gedenktag
Eine Reihe von Ereignissen rund um den internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar hinterlassen ein zwiespältiges Gefühl.
Die offiziellen Gedenkveranstaltungen im Bundestag und im EU-Parlament mit Ansprachen von Margot Friedlaender, Inge Auerbacher und dem israelischen Parlaments- präsidenten, Mickey Levy, der – in der Hand den Siddur eines ermordeten Jungen – unter Tränen Kaddisch sprach, waren würdig und bewegend. So lange Menschen, die die Schoa überlebt haben, noch unter uns sind, soll man sie hören und ihnen zuhören.
Weiterhin kündigten Polizei und Staatsanwaltschaften an, gegen Schoa-Relativierungen vorzugehen und das Tragen des »Gelben Sterns» als Straftat anzusehen. Es ist zu begrüßen, dass der Staat ein längst überfälliges Zeichen an all jene sendet, die meinen, sich selbst viktimisieren zu müssen und auf die von den Nazis Ermordeten zu spucken.
In dem Zusammenhang halten wir es im Übrigen einer renommierten Zeitung, wie dem »Tagesspiegel» für unwürdig, dass dessen bekannter Kolumnist den antisemitischen Charakter dieser Bagatellisierung leugnet – eine Ohrfeige für alle Überlebenden der Schoa und ihre Nachkommen.
Demgegenüber ist festzustellen, dass die Bekämpfung von Antisemitismus immer mehr in Frage gestellt wird. Fatal ist das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Januar, das den Beschluss des Münchener Stadtrates, wonach die israelfeindliche BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) keine städtischen Räume bekäme, gekippt hat. Das Gericht verkannte den antisemitischen, aggressiven und einschüchternden Charakter dieser Kampagne, die in der Tradition des »Kauft nicht bei Juden» steht und deren Protagonisten gern mal Menschen, die eine andere Meinung als die ihrige vertreten, darunter auch Schoa-Überlebende, niederbrüllen.
Am 29. Januar strahlte der WDR ein Feature mit dem Titel »Vorwurf Antisemitismus – Vom Umgang mit einem scharfen Schwert» aus (z.B. Ruhrtriennale, Initiative GG 5.3 Weltoffenheit). Bedauerlicherweise wurden faktische antisemitische Narrative im Kulturbetrieb nahezu ausgeklammert und kamen fast nur Menschen zu Wort, die einen Antisemitismus-Vorwurf als Totschlagargument ansehen. Da bleibt nur, Kurt Tucholsky zu zitieren: »In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht.»
Am verstörendsten war jedoch die ZDF-Sendung »Aspekte» aus Anlass des Holocaustgedenktags. Sie schlug einen direkten Bogen von der Schoa zur Flucht der Araber 1948 und verband dies mit der Forderung, die »Nakba» solle in das Erinnern an den Holocaust eingebettet werden. Dass dann noch just am 27. Januar in der Sendung »Nuhr im Ersten» die Kabarettistin Lisa Eckhardt auftrat, deren Spezialität es ist, antisemitische Ressentiments zu reproduzieren, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Selten konnte man sich in den Jahren, seitdem der 27. Januar als Gedenktag eingeführt wurde, enttäuschter fühlen als 2022. Es sei denn, man hat sich »Defiance» oder »Inglourious Basterds» als Kontrastprogramm zwecks Empowerment angesehen.
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