Beitragssuche

Datum / Zeitraum:
Beitragsart:
Kategorie:

All you can volunteer!

01.Januar 2012 | Beiträge – jüdisches berlin | Aktivitäten

Limmud-Tag Berlin widmet sich dem Thema des jüdischen Ehrenamtes

Ein ungewöhnlicher Limmud-Tag Berlin fand Ende November im Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße statt. Abweichend von dem bekannten Rahmen einer Großveranstaltung widmete das Limmud.de- Team diesmal den Tag voll und ganz dem Ehrenamt und seinen Herausforderungen in der jüdischen Gemeinschaft Deutschlands. Die Teilnehmerschaft  knapp 100 Menschen spiegelte die Realität des Ehrenamtes in jüdischen Gemeinden wider, versammelte dabei also Gleichgesinnte, die sich leidenschaftlich neben Beruf, Studium und ihrem sozialen Leben der jüdischen Freiwilligenarbeit im rabbinischen Sinne, dem Tikkun Olam, der »Reparatur der Welt« widmen.

Der Arbeitskreis der jüdischen Sozialdemokraten, die Talmud-Tora-Schule, Stipendiaten des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks (ELES), einer Begabtenförderung für überwiegend jüdische Studenten und weitere internationale und lokale jüdische Einrichtungen, die von ehrenamtlichem Engagement getragen werden, wie die WIZO oder die Synagogenvorstände, diskutierten über Herausforderungen ihrer Arbeit in der jüdischen Gemeinschaft Deutschlands.

Trotz aller Schwierigkeiten gibt es auch in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin etliche Erfolgsgeschichten: Wie die des Ehepaar Bairamov aus Baku, das seit seiner Ankunft in Berlin 1995 ehrenamtlich aktiv ist. Bella Bairamov, eine Musikpädagogin, baute die Talmud-Tora-Schule auf und leitet sie bis heute. Deren hoch qualifizierte ebenfalls unentgeltlich oder nur für einen symbolischen Beitrag arbeitende Lehrer und Madrichim bieten den Kindern, überwiegend aus Zuwandererfamilien, ein vielfältiges Angebot von Musik- und Kunsterziehung bis zu Schach und Selbstverteidigung an. Die Schule hat auch einen weiteren positiven Nebeneffekt: Die Eltern die ständig als vermisst gemeldete Generation sind hier ebenfalls aktiv dabei.

Bellas Ehemann, Adil, im bürgerlichen Leben ein promovierter Ingenieur, der sich mit alternativen Energiequellen beschäftigt und sich in Baku mit Erdölgewinnung auseinandersetzte, ist der Mann hinter der starken Frau. Ehrenamtlich investiert auch er sein Herzblut in Begegnungen mit und Hilfe für Zuwanderer. Als leidenschaftlicher Badmintonspieler fing Adil mit der Gründung eines Sportsklubs an und mittlerweile organisiert er mit seiner Frau Begegnungen verschiedener Landesleute von Odessa bis nach St. Petersburg, Exkursionen, Kunstveranstaltungen und einen Besuchsdienst für kranke Gemeindemitglieder. Ähnlich ist auch die Gruppe der Ehrenamtlichen Helfer der Gemeinde, die unter Leitung Igor Singers an die Sozialabteilung angebunden ist, tätig. Sie besucht betagte Gemeindemitglieder in Krankenhäusern, Heimen und zuhause und steht ihnen vielfach auch im Alltag beiseite. Problem: Die meisten Helfer sind ebenfalls bereits im Rentenalter. Nachwuchs ist knapp.

ELES-Studenten diskutieren ihr ehrenamtliches Engagement. Foto: Nadine Bose

ELES-Studenten diskutieren ihr ehrenamtliches Engagement. Foto: Nadine Bose

Im ehrenamtlichen Bereich fehlt es nicht nur an Personal, sondern oft an der Finanzierung, das meiste funktioniert ausschließlich dank des puren Enthusiasmus der Helfer ganz gleich, ob es sich um einfache per Hand geschnittene Flyer auf Ökopapier handelt, oder um eine schlichte Internetpräsenz.

Von einem jüdischen wie nichtjüdischen Ehrenamt kann inzwischen auch eine andere jüdische Gruppe profitieren. Das vor zwei Jahren gegründetes ELES macht seinen (jüdischen und nichtjüdischen) Stipendiaten zur Bedingung sich ehrenamtlich zu engagieren. So sind unter den Stipendiaten diejenigen, die einer »klassischen« jüdischen Freiwilligenarbeit nachgehen vom Jugendzentrum-Madrich bis zum Schulsprecher in der Jüdischen Oberschule, wie Benjamin Fischer, der jetzt in Hamburg Jura studiert. Sein Mitstipendiat, Jonas Fegert, der neulich mit ein paar anderen »Studentim«, die jüdische Studierendeninitiative in Berlin gegründet hat und hier Politik studiert, ist auch bei den Grünen im Bundestag aktiv. Durch das Stipendium werden die Studenten für ihr bereits früher begonnenes Ehrenamt, quasi auch entlohnt. Gleichzeitig fördert das Studienwerk die Kontinuität dieser Arbeit, die letztendlich der Bildung einer aktiven jüdischen Studentengemeinschaft und mit Alumniprojekt über das Studium hinaus führt. Die Gründer der Stiftung haben sich durch die ideelle Förderung das Ziel gesetzt, sowohl die positive jüdische Identität als auch Verantwortungsbewusstsein in der jüdischen Gemeinschaft und in der deutschen Gesellschaft zu stärken.

Bei aller Kritik am nicht ausreichenden jüdischen Engagement scheint sich die jüdische Gemeinschaft in Deutschland zu normalisieren. Die Vielfalt, zu der sie sich hin bewegt, ist ein deutliches Zeichen ihrer Vitalität.

Auch im Hinblick auf jüdisches Ehrenamt hat sich einiges getan. Paradebeispiel ist das Limmud.de-Festival selbst, die mit 500 bis 600 Teilnehmern wohl größte jüdische Bildungsveranstaltung Deutschlands. Sie ist regional in Berlin, Frankfurt, München, Köln und seit neuestem auch in Hamburg vertreten und lebt ausschließlich vom Engagement Ehrenamtlicher. Hunderte von Stunden unbezahlter Arbeit zahlen sich aber doch am Ende aus.

Die Berlinerin Yaël Schlesinger, die Jüdische Studien studiert, erzählt vom sozialen Kapital und dem neuen intellektuellen Freundeskreis, den sie dank Limmud gewonnen hat. Sie will ihr jüdisches Leben in Deutschland, in Berlin, und sie fordert es nicht von »den Anderen« oder von der »Gemeinde«, sie macht es selbst, sie macht Limmud. Dazu kommt noch das Gefühl der Verantwortung für eine große Sache, das Gefühl der Zugehörigkeit und natürlich auch der Spaß. Es wird nicht nur gelernt und diskutiert gefeiert wird auch viel. So beim Limmud-Tag Berlin zusammen mit »Jachzen Bachzen«, einer jungen israelischen Band.

Viele, vor allem junge Juden sind auch mit einem Ehrenamt in der Mehrheitsgesellschaft vertreten, sie sind politisch aktiv oder sind bei der Freiwilligen Feuerwehr, was wohl ein gutes Zeichen der Normalisierung des jüdischen Umfeldes in Deutschland sei, wie Gregor Wettberg, der Co-Vorsitzende der Regionalgruppe jüdischer Sozialdemokraten, treffend bemerkte.

Julia Itin