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Al Tischkach! Vergeßt es nicht!

01.März 2017 | Beiträge – jüdisches berlin | Feiertage

Gemeinderabbiner Jonah Sievers zu Purim 5777

»Amar Rawa: Mi-chajaw inisch liwssumej b’furaja, ad d’lo jada bejn arur Haman l’waruch Mordechai.

»Rawa sagte: Man ist verpflichtet so betrunken zu werden bis man nicht mehr den (Unterschied) zwischen verflucht sei Haman und gelobt sei Mordechaj unterscheiden kann.«

Diese kurze Passage aus dem Traktat Megilla 7b begründet einen der bekanntesten Bräuche zu Purim, und zwar sich so zu betrinken, bis man den Unterschied zwischen »verflucht sei Haman« und »gepriesen sei Mordechaj« nicht mehr wahrnehmen kann. Und vermutlich haben wir alle dies auch schon einmal ausprobiert.

Wenn wir jedoch einen Moment überlegen, und ich entschuldige mich schon jetzt bei Ihnen, eine kleine Spaßbremse zu sein, ist dies ein komisches Gebot. Bekanntlich ist die Tora voller Erzählungen, in denen zu großer Weinkonsum zu verwerflichen Handlungen führte.

Vielleicht erinnern Sie sich an die Geschichte von Noach und Lot oder auch an die von Aarons Söhnen, Nadav und Abihu, von deren Tod wir in Kürze in der Tora lesen werden. Sie mussten einer rabbinischen Tradition zufolge sterben, weil sie betrunken waren (LevR 20:9). So ist es also kein Wunder, dass wir im Talmud Traktat Sanhedrin 70b die Aussage finden, dass »es nichts gibt, das einer Person mehr Klage einbringt, als Wein.«

Wie also ist dann Rawas Ausdruck in Megilla 7b zu verstehen? Sie werden sich vielleicht über ihn wundern, denn die meisten Kommentatoren fühlen sich sehr unbehaglich bezüglich eines zu starken Weingenusses und kommen zu dem Schluss:

Von Herzen kommende Freude: Ja! Trunkenheit und Sittenverfall: Nein!

Dieser Schlussfolgerung kann man sich auch nicht ernsthaft widersetzen, wenn man in der Lektüre unserer Passage in Megilla 7b, die jedoch die meisten nicht kennen, fortfährt. Dort heißt es unmittelbar nach unserer Passage: »Rabba und Rabbi Ze’ira feierten Purim zusammen und betranken sich. Rabba stand auf und erschlug Reabbi Zei’ra. Am nächsten Tag, betete (Rabba) um Erbarmen für Rabbi Ze’ira und belebte ihn wieder. Im folgenden Jahr fragte Rabba Rabbi Ze’ira: Lass den Meister hierher kommen und ein gemeinsames Purimfest feiern. Rabbi Ze’ira antwortete ihm: Es geschieht nicht immer ein Wunder.«

Offensichtlich finden wir hier eine Warnung vor zu großem Weingenuss. Angesichts der Tatsache, dass Rawa nach Rabba und Rabbi Zei’ra lebte, kann man die Aussage Rawas auch als Frage verstehen, also: »Sind wir wirklich verpflichtet, so viel zu trinken bis wir nicht mehr unterscheiden können?«

Trotz all dieser Warnungen vor durch zu viel Wein ausgelöstem Sittenverfall, die wir ohne Zweifel beachten müssen, passt das Trinken dennoch irgendwie zu Purim. Zu Purim verschwinden die Grenzen und wir tun Dinge, die wir das ganze Jahr über nicht tun: So verkleiden wir uns sonst nicht und betrinken uns eben auch nicht grundlos.

Purim fungiert in diesem Sinne ein bisschen als Katalysator für all die Gefühle, die in uns schlummern. Wir alle sind nicht perfekt und haben als Menschen eben auch Anwandlungen, die wir aber eigentlich nicht haben sollten. Einmal im Jahr jedoch lassen wir diesen kanalisiert ihren Lauf, nur um dann die kommenden zwölf Monate wieder so zu leben, wie wir es in unseren besten Stunden von uns selbst erwarten.

Purim ist eine Zeit, in der Unterschiede verwischt werden, was besonders eindrücklich im Purimspiel geschieht. Die Unterschiede verlieren sich so stark, um uns in Erinnerung zu bringen, dass die Rettung zu Purim nur gelang, wie Rabiner Josef Karmel herausstellt, weil das Volk zusammenstand. So wie wir gerade in der Megilla gelesen haben: »Geh und versammle das ganze Volk«. Das ganze Volk, unabhängig davon, ob religiös oder nicht, war nötig, um den Erfolg zu sichern. Hieran gilt es sich auch nach Purim, wenn wir aus unserer Purimfreude wieder aufwachen, zu erinnern, nämlich, dass wir nur zusammen etwas erreichen. Hamans gibt es betrüblicherweise noch genug auf dieser Welt.

Al tischkach! – Vergesst es nicht!

Aber erst kommt der Spaß.

Purim Sameach!

Al Tischkach! Vergeßt es nicht!