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»Ach, Freunde, wohin seid ihr verweht…?«
01.Dezember 2008 | Beiträge – jüdisches berlin | Ausstellung
Die Sinti-Porträts des Expressionisten Otto Pankok sind derzeit in einer Ausstellung des Dokumentationszentrums Deutscher Sinti und Roma in der Saarländischen Galerie zu sehen
Das Leben und Werk des deutschen Künstlers und Humanisten Otto Pankok (1893 – 1966) war eng mit der Minderheit der Sinti und Roma verbunden wie mit allen Leidenden am Rande der Gesellschaft. Er engagierte sich in den Nachkriegsjahren nicht nur beispielhaft für die entrechteten Überlebenden des Holocaust, sondern schuf bereits vom Beginn der Dreißiger Jahre an und bis zu seinem Lebensende unzählige großformatige monochrome Kohlegemälde sowie Holzschnitte, Lithografien, Radierungen und Bronzeplastiken von Sinti und Roma. Seine Arbeiten sind frei von bösartigen oder gutmütigen Klischees und falscher »Zigeunerromantik«. Es sind technisch von seinem Vorbild Vincent Van Gogh inspirierte, liebevolle, genau beobachtete, realistische Darstellungen der Ausgestoßenen, voller Respekt gegenüber den Porträtierten. Eine repräsentative Auswahl dieser Arbeiten ist jetzt in der Saarländischen Galerie am Festungsgraben zu sehen.
Wie bei keinem anderen deutschen Künstler spiegelt sich in Pankoks Werk der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma wider. Denn die meisten seiner Modelle wurden ermordet. Er selbst, der drei Jahre in der Düsseldorfer Arbeitslosensiedlung Heinefeld unter Sinti und Roma gelebt und gearbeitet hatte, wurde nach 1933 von den Nazis geächtet. Pankoks Porträt eines Sinti-Mädchens hing in Hitlers Propaganda-Ausstellung »Entartete Kunst«, seine Werke wurden aus deutschen Museen und Buchhandlungen entfernt und vernichtet. Trotz Mal- und Verkaufsverbotes setzte der Kriegsgegner und Pazifist seine künstlerische Arbeit mit Sinti- und Roma-Motiven fort und schuf auch einen Zyklus »Jüdisches Schicksal«.
In den letzten Kriegsmonaten bewiesen Otto Pankok und seine Frau Hulda noch einmal ihre menschliche Größe in besonderer Weise und versteckten den ebenfalls mit Malverbot belegten Kommunisten Matthias Barz und dessen jüdische Frau Hilde, eine Schauspielerin, deren gesamte Familie bereits deportiert worden war.
Nach dem Ende der Nazi-Barbarei durften Otto Pankoks Arbeiten endlich wieder gezeigt werden. 1947 erschien sein Buch »Zigeuner«. Im Vorwort schreibt er: »Ach, Freunde, wohin seid ihr verweht, wo seid ihr zertreten, in welche Gruben haben euch schutzlose Kinder die Würger verscharrt wie Dreck? Man zerrte sie fort in die Todeslager und die östlichen Schlachthäuser. Wir hörten die Kinder schreien und die Mütter schluchzen unter den Peitschen der braunen Henker. Noch bevor die Synagogen aufloderten, waren die Zigeunerfamilien hinter den Gittern des Stacheldrahtes zusammengepfercht, um später das jüdische Schicksal in den Todeslagern des Ostens zu teilen.«
1948 schuf Pankok einen Zyklus von Kohlegemälden mit überlebenden Sinti, die er nach ihrer Rückkehr aus den Lagern in Düsseldorf wiedergetroffen hatte, wo er inzwischen als Professor eine Zeichenklasse an der Kunstakademie unterrichtete. Günter Grass, der von 1948 bis 1952 bei ihm studiert hatte, sagte 1997 anlässlich der Gründung der Otto-Pankok-Stiftung, die sich für Sinti und Roma engagiert, dass sein Lehrer, dessen Aussehen Grass etwas an »Gottvater« erinnerte (oder an Heinrich Zille), ihm die Augen für die Sinti geöffnet und eine »grundlegende Lektion« erteilt habe, denn Pankok »verstand es, mich und andere Schüler zu lehren, mit ihnen umzugehen und – fern aller romantischen Verklärung – die jeglicher Verfolgung trotzende Schönheit ihrer Existenz zu begreifen«. Judith Kessler
_bis 11. Januar 2009, Di – So 11 – 19 Uhr
Saarländische Galerie, Am Festungsgraben 1,
10117 Berlin, T. 20077258
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