Beitragssuche

Datum / Zeitraum:
Beitragsart:
Kategorie:

Abschied und Neuanfang?

02.Oktober 2008 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

Ein Gespräch mit der scheidenden JVHS-Leiterin Nicola Galliner und Kulturdezernent Aharon Risto Tähtinen über die Zukunft der Jüdischen Volkshochschule

jb: Nicola Galliner und ihr Mitarbeiter Christian Deutschmann verlassen nach über 20 Jahren Arbeit für die Gemeinde dieser Tage die Jüdische Volkshochschule (JVHS) und machen sich mit dem Jewish Filmfestival selbständig. Herr Tähtinen, wie soll es mit der JVHS weitergehen?
Aharon Tähtinen: Zuerst einmal wollen wir Frau Galliner und Herrn Deutschmann danken. Sie haben Jahrzehnte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gedient und eine wichtige und wertvolle Arbeit geleistet. Das müssen wir würdigen und sagen beiden unser ganz, ganz großes Dankeschön. Kultur ist eine sehr wichtige Sache und es war und ist die Aufgabe der Jüdischen Volkshochschule, etwas Kultur zu vermitteln und Kurse anzubieten.
Frau Galliner, ein Blick zurück. Wie ging es los mit Ihnen und der Jüdischen Volkshochschule
Nicola Galliner: Ich bin dazu gekommen, als Gad Beck in Rente ging. Er hat die Volkshochschule in Berlin aufgebaut, im Wesentlichen allein und mit Vortragsreihen und Sprachkursen eine gute Basis geschaffen. Als ich anfing, 1988, ein Jahr vor Mauerfall, da war ich ebenfalls zunächst allein und da gab‘s hier einen Stuhl und einen Tisch mit ein paar Zetteln drauf. Das war alles. Es war nicht mal eine Schreibmaschine da. Die war am Abend vorher gestohlen worden. In den vier Jahren mit Heinz Galinski, bis 1992, habe ich dann von ihm Mitarbeiter, Computer  und andere großzügige Unterstützung bekommen.
Heinz Galinski hat die JVHS gegründet?

Es kommt darauf an, was für einen Anspruch man hat.« – Nicola Galliner und Aharon Risto Tähtinen © Moritz David Friedrich (l.), Judith Kessler (r.)Abschied und Neuanfang? - 1

NG: Ja, als erste Jüdische Volkshochschule in Deutschland, 1962. Es gab zwei Ziele: sie sollte zum einen die Berliner Bevölkerung über die diversen Facetten des Judentums informieren, auch eine Begegnungsstätte sein, und zum anderen die Gemeindemitglieder weiterbilden.
Und wie sieht das Publikum der JVHS de facto aus?
NG: Ohne das nichtjüdische Publikum könnte keine der drei Jüdischen Volkshochschulen existieren. Nach Berlin wurde ja noch eine in Frankfurt und eine in München gegründet. Natürlich kommen zu den Deutschkursen russischsprachige Gemeindemitglieder, aber unsere Durchschnittsbesucher – ich nenne sie immer meine »Tagesspiegel-Leser« – stammen aus dem nichtjüdischen Bildungsbürgertum.
Gab es ein Highlight in all den Jahren?
NG: Es gab mehrere: der Vortrag von Simon Wiesenthal und er selber, ein unglaublich beeindruckender Mensch. Was mir immer in Erinnerung bleiben wird, sind das Konzert von Larry Adler und einzelne israelische Autoren: Eli Amir, Amos Oz und viele andere. Eine wirklich große Ehre war es für uns, dass Rabbiner Leo Trepp jedes Jahr extra hierher gekommen ist, mit seinen inzwischen 95 Jahren. Er ist der letzte, noch lebende, im Vorkriegsberlin ausgebildete Rabbiner.
Eine klassische VHS hat zu allererst einen Bildungsauftrag. Die JVHS Berlin hat viel mehr angeboten als Kurse. Kollidiert das nicht mit der sonstigen Kulturarbeit der Gemeinde?
NG: Gerade als Jüdische Volkshochschule können wir zwischen Bildung und Kultur nicht trennen. Die Bandbreite jüdischen Lebens ist doch sehr groß – und das macht die Sache spannend. Wir vertreten keine bestimmte religiöse Richtung oder politische Partei, sondern zeigen alles. Zum anderen können wir nicht wie eine normale Volkshochschule jeden Bereich abdecken. Wir wollen eine lebendiges und umfassendes Bild des heutigen Judentums, des Staates Israel und unserer Geschichte zeigen. Und dazu sind Lesungen, Konzerte und das Filmfestival bestens geeignet.
Aber ist dieser Anspruch noch realistisch? Bis vor wenigen Jahren war das JVHS-Programm ein 30-seitiges Heft, heute reicht ein Faltblatt...
NG: So ist es. Wir haben kein Geld. Früher hatten wir im Jahr zwischen 60 und 90 Veranstaltungen zusätzlich zu den Kursen. Wir haben unglaubliche finanzielle Kürzungen hinnehmen müssen. Wir haben nicht mal mehr die Mittel, Plakate zu drucken… Es kommt darauf an, was für einen Anspruch man hat. Man kann natürlich auch ein einfacheres Programm machen.
Also wieder Beschränkung auf den Bildungsauftrag?
AT: Nein. Die Kurse, das ist nur eine Seite, die andere Seite beinhaltet Lesungen und Kulturarbeit. Frau Galliner hat immer so schön gesagt, dass die Jüdische Volkshochschule auch ein Schaufenster für Berlin sein sollte. Dass wir viele Nichtjuden im Publikum haben ist gut. Die Deutschen sollen sich nicht nur mit »toten Juden» befassen, sondern sich mit den hier Lebenden auseinandersetzen. Es gilt ja auch Juden und Deutsche zu integrieren. Aber innerhalb der Gemeinde hat sich die Lage auch geändert. Die Gemeinde ist größer geworden und wir haben viele Mitglieder, die nicht so fest mit der Gemeinde verbunden sind. Für diese Leute da zu sein, ist eine genauso große und wichtige Aufgabe wie für die Berliner da zu sein.
Wie wollen Sie die Mitglieder hinter dem Ofen hervorlocken?
AT: Wir bekommen jetzt unter anderem einen neuen Internet-Auftritt, damit die Mitglieder besser und schneller über Veranstaltungen informiert sind.
Das betrifft die Form. Was ist mit Inhalten? Die spannenden, kontroversen Themen werden bislang doch eher »draußen« diskutiert, oder?
AT: Ja, das ist auch eine wichtige Herausforderung, diese Debatten bei uns zu führen – Klonen, Gentechnologie, Sterbehilfe –, auch für unsere Rabbiner und Gelehrten. Da müssen wir schneller reagieren und mutiger. Und es ist auch eine Herausforderung für die künftigen Macher der Volkshochschule, die Bedürfnisse unserer Mitglieder herauszufinden, vielleicht aber auch, sie heranzuführen an ungewohnte Formate. Dabei muss man auch Geduld haben.
Hat das auch mit der Sprache zu tun? Zur Zeit finden die meisten Veranstaltungen auf Russisch statt.
NG: 85 Prozent der Gemeindemitglieder kommen aus dem russischsprachigen Raum…
Oft hat man aber den Eindruck, dass es eher Veranstalter oder Auftretende sind als die Konsumenten, die Russisch »brauchen«.
AT: Das wird sich ändern. Es ist ganz klar, was Integration auch bedeutet: Wenn man in Deutschland leben will, als Jude oder sonst wer aus dem Ausland, muss man die deutsche Sprache beherrschen. Man muss im Alltag, im Leben Deutsch sprechen und deswegen muss die Sprache der Gemeinde und die der Volkshochschule eindeutig Deutsch sein. Das bedeutet nicht, dass wir gegen Hebräisch oder gegen Russisch sind. Aber in zehn Jahren können sicher auch die älteren Leute soviel Deutsch, dass sie gleichberechtigt teilnehmen können.
Noch einmal zu der prekären Finanzlage. Auch an Sie, Herr Tähtinen, die Frage: Können wir uns eine Volkshochschule  und eine Kulturabteilung leisten?
AT: Wir möchten das zusammenlegen. Alle Leute, die in der Gemeinde mit Kultur zu tun haben, auch Volkshochschule und Kulturabteilung, sollten in einem Ressort zusammen arbeiten. Gerade wenn wenig Geld da ist, müssen wir zusehen, dass Dinge nicht doppelgleisig laufen. Aber wir können die Kultur auch nicht kaputt sparen. Kultur braucht Geld. Wir müssen das Beste daraus machen.
Wie könnte das Beste aussehen?
AT: Eine Variante ist das Outsourcing von Projekten, wie es jetzt überall in der Gesellschaft praktiziert wird. Ich bin kein Neoliberaler und nicht der Ansicht, dass man alles privatisieren muss, aber wenn es dadurch besser wird, warum nicht. Das Jewish Filmfestival könnte ein gutes Beispiel werden. Die Jüdischen Kulturtage sind ja auch mehr oder weniger »outgesourct» und das funktioniert sehr gut. Wir haben mit den Weimarer Kulturdienst wieder einen Vertrag über drei Jahre unterschrieben. Man kann ja überlegen, ob man die Kulturtage danach auch mal ausschreibt. Neue Ideen sind immer gut, wenn die Dinge schon etwas zu eingefahren sind.
Zum Stichwort »Jewish Filmfestival«: Die Gemeinde bleibt also mit dem Festival verbandelt?
AT: Unbedingt. Wir sehen das Festival auch in Zukunft als festen Bestandteil unserer Kulturarbeit, wir werden zusammen arbeiten und einen Kooperationsvertrag haben. Ich bin glücklich, dass Frau Galliner das macht und dass sie auch noch mit anderen Jüdischen Gemeinden zusammen arbeiten wird. Ich glaube, dass Festival kann dadurch noch gewinnen. Wir unterstützen das voll und ganz. Und wir hoffen auch, dass Frau Galliner uns weiter unterstützt.
Frau Galliner, wie geht es bei Ihnen jetzt weiter?
NG: Wir machen eine Deutschlandtour, weil wir unheimlich viele Anfragen hatten. Die Gemeinde befürwortet und unterstützt diese Entscheidung ja, wie gesagt. Und ich denke, da erwartet uns viel Arbeit, aber auch viel Freude.
Ist das Jewish Filmfestival 2009 also schon sicher?
NG: Absolut. Die ersten Filme sind schon bestellt und das Datum steht auch fest: Das 15. Jewish Film Festival beginnt am 14. Juni 2009.
Herr Tähtinen, gibt es personelle Vorstellungen für die Jüdische Volkshochschule?
AT: Es haben viele Leute Kontakt mit uns aufgenommen, unglaublich, wie schnell sich so etwas herumspricht… Aber das ist zu früh. Wichtig ist, dass die Arbeit weitergeht. Als erstes gucken wir jetzt, wie das organisatorisch aussehen soll, dann reden wir über Personen… Wir haben uns angesehen, wie die anderen Jüdischen Volkshochschulen das machen und es gibt natürlich etliche Anregungen aus dem Kulturausschuss. Es gibt viele Ideen. Das wird alles in diesem Herbst noch geklärt.
Frau Galliner, haben Sie als letztes noch einen Tipp für Ihre Nachfolger in der Volkshochschule?
NG: Ja klar. Nicht aufgeben! Und immer entspannt bleiben.
Das Gespräch führte Judith Kessler.