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75. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto und die Mär von der jüdischen Passivität
01.April 2018 | Beiträge – jüdisches berlin | Politik, Gedenken, Gesellschaft
Im Zusammenhang mit dem umstrittenen neuen polnischen Holocaust-Gesetz hat ein Berater des polnischen Staatspräsidenten Duda Juden der Passivität während der Schoa beschuldigt. Wie aber sah die Realität aus:
»Mein Lebenstraum ist in Erfüllung gegangen. Die Selbstverteidigung im Ghetto ist nun eine Tatsache. Der bewaffnete jüdische Widerstand und die Rache wurden Realität. Ich wurde Zeuge eines ruhmvollen und heldenhaften Aufstandes der jüdischen Kämpfer.« (Mordechai Anielewicz, Kommandeur der Jüdischen Kampforganisation, April 1943).
Lange stritten die Untergrundbewegungen über den Sinn bewaffneter Aufstände, die doch wahrscheinlich relativ geringe Wirkung haben, aber mit Sicherheit den Tod unzähliger Frauen, Kinder und Männer nach sich ziehen würde. Auch viele der sogenannten Judenräte, die jüdisches Leben unter deutscher Besatzung organisieren mussten, standen deshalb Aufständen skeptisch gegenüber. Dennoch gab es in mindestens 50 Ghettos im besetzten Polen bewaffnete Widerstandsgruppen und Aufstände, vor allem im Zuge der Getto-Liquidierungen 1942 und 1943, unter anderem in Tschenstochau, Krakau und Białystok – und eben in Warschau. Dort waren die Lebensbedingungen derart katastrophal, dass knapp 100000 Menschen – fast ein Viertel der Bevölkerung – noch vor dem Beginn der Deportationen nach Treblinka am 22. Juli 1942 starben. Innerhalb zwei Monaten verschleppten die Besatzer dann bis zu 300000 Menschen in die Vernichtungslager, über 10000 erschossen sie noch in Warschau. Danach lebten im »Restgetto« noch etwa 60000 Juden.
Ende 1942 gelang es, die bis dahin zumeist einzeln agierenden Untergrundgruppierungen in der Jüdischen Kampforganisation (ŻOB) zu vereinen. Als am 18. Januar 1943 wieder eine »Umsiedlungsaktion« begann, stießen die deutschen Einheiten auf unerwarteten Widerstand: Die Menschen im Getto versteckten sich, und die Aktivisten der ŻOB leisteten bewaffnete Gegenwehr.
In der Nacht vom 18. auf den 19. April 1943 begannen Gendarmen, das Getto zu umstellen, woraufhin die Kämpfer das Feuer eröffneten. Ihre Entschlossenheit und der Überraschungseffekt konnten das erhebliche Ungleichgewicht der Kräfte anfangs ausgleichen, die Deutschen zogen sich zurück. In den nächsten Tagen kam es immer wieder zu Kämpfen, nun setzte sich nun die deutliche Übermacht der schwer bewaffneten SS durch. Überdies befahl der zuständige SS-Befehlshaber Jürgen Stroop, systematisch die Häuser niederzubrennen, um die Menschen aus ihren Verstecken zu zwingen. Am 8. Mai entdeckten die Deutschen den Bunker der Kommandantur der Jüdischen Kampforganisation. Sie blockierten die Ausgänge und leiteten Gas hinein. Mordechai Anielewicz und seine Kameraden nahmen sich vermutlich das Leben.
Juden leisteten Widerstand auf vielerlei Weise: es gab die bewaffneten Aktionen in Gettos und Lagern, Partisanengruppen in den Wäldern, Untergrundorganisationen, die Flugblätter verteilten oder wie die zionistische Chaluz-Bewegung die Flucht von Kindern nach Palästina organisierten. Jüdische Zwangsarbeiter sabotierten die Produktion in Fabriken, geflohene Juden kämpften in den alliierten Armeen gegen Nazi-Deutschland. Erinnert sei auch an die bekannteste jüdische Widerstandsgruppe im Deutschen Reich, die Berliner Gruppe um Herbert Baum, die schon früh Kampfschriften verteilte und im Mai 1942 einen Brandanschlag auf die Ausstellung »Das Sowjetparadies« verübte.
In den »Ostgebieten«, in Polen, war die Situation der jüdischen Aktivisten besonders kompliziert, sie waren voneinander isoliert über viele Gettos verstreut und auf Hilfe von außen angewiesen, doch standen ihnen große Teile der Bevölkerung gleichgültig oder feindselig gegenüber. Viele dort kämpften ohne Waffen ebenfalls einen heroischen Kampf: gegen Hunger und Krankheiten, für die Bildung ihrer Kinder, für ihr kulturelles Leben und um ihre körperliche und geistige Selbstbehauptung und sie schrieben – wie Emanuel Ringelbum im Warschauer Ghetto – Tagebücher und Chroniken, und dokumentierten die Verbrechen der Nazis und Kollaborateure für die Nachwelt, die im Fall auch der polnischen Regierung davon heute nichts mehr wissen will.
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