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75 Jahre Auschwitz-Befreiung – aber die Erinnerung an die Schoa soll verstummen!
01.Januar 2020 | Beiträge – jüdisches berlin | Gesellschaft
»Die Koalition steht an der Seite der Betroffenen rechter Gewalt, der Flüchtlinge und der Engagierten für eine Stadt der Vielfalt – gegen Antisemitismus, Rassismus, Homophobie, Transphobie, Antiziganismus, Islamfeindlichkeit und andere menschenfeindlichen Einstellungen und Bestrebungen. Mehr Opferschutz, eine Stärkung der Zivilgesellschaft und die konsequente Bekämpfung rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Straftaten sowie von Hasskriminalität sind uns ein besonderes Anliegen.«
So steht es auf Seite 149 der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen, mit der die Leitlinien der Senatspolitik für die Jahre 2016 bis 2021 festgelegt wurden.
Anscheinend ist dieser Beschluss nicht in allen Teilen der Verwaltung angekommen, denn am 4. November 2019 hat das Finanzamt für Körperschaften I des Landes Berlin der Bundesvereinigung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) e.V.* die Gemeinnützigkeit entzogen. Begründet wurde diese Maßnahme mit dem Bericht des Bayrischen Verfassungsschutzes, wonach die VVN-BdA mit Linksextremisten zusammenarbeite. Diese Begründung mutet schon sehr seltsam an, denn in anderen Bundesländern wurde deren Gemeinnützigkeit – bei gleicher Aktenlage – nicht entzogen. Auch ist die VVN-BdA in keinem anderem Bericht aufgeführt, weder des Bundes, noch eines anderen Bundeslandes. Viel entscheidender ist aber, was für ein Signal von dieser Entscheidung ausgeht.
Viele Gemeindemitglieder sind seit Jahrzehnten in der VVN-BdA engagiert. So führt beispielsweise Horst Selbiger regelmäßig Zeitzeugengespräche an Schulen, Hochschulen und vor Interessierten durch. Doch die Erinnerung an die Schoa wird immer mehr relativiert, ja gar bagatellisiert. Da fordert auf der einen Seite der thüringische AfD-Chef Bernd Höcke eine »180°-Wende der Erinnerungskultur« und der sächsische AfD Bundestagsabgeordnete Jens Maier erklärte den »Schuldkult« für beendet.
Aber das Gedenken an den Holocaust wird auch von anderen für sich vereinnahmt. Anfang Dezember errichtete die Gruppe »Zentrum für politische Schönheit« (ZPS) in Nähe des Reichstagsgebäudes eine Stahlsäule, die angeblich Asche von Opfern der Massenmorde der Nazis enthielt. Nach massiven Protesten von jüdischen und Sinti-und Roma-Verbänden wurde diese Säule verhüllt. Diese Aktion war übergriffig, paternalistisch und eine ekelerregende Pervertierung der Erinnerung an die Schoa. Es war ein »Gedächtnistheater«, in dem Juden diesmal noch nicht mal Statisten sind, sondern zu Objekten politischer Selbstdarstellung degradiert wurden.
Doch nicht genug damit: In den sozialen Medien wurden Juden, die gegen diese Aktion des ZPS protestierten, beleidigt und diffamiert. Eine ganze Meute von Täterenkeln erhob für sich den Anspruch, Angehörige von Holocaust-Opfern oder gar Schoa-Überlebende über die richtige Art zu gedenken, belehren zu dürfen. Am 27. Januar 1945 wurde Auschwitz befreit. 75 Jahre später werden die letzten Überlebenden mundtot gemacht, der industrielle Massenmord wird zu einem trivialen Spektakel reduziert.
Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA und die Aktion des »Zentrums für politische Schönheit« sind zwei Seiten der selben Medaille: Juden haben in der Erinnerungskultur nichts zu melden. Der Satz des israelischen Psychoanalytikers Zvi Rix aus dem Jahre 1967: »Die Deutschen werden den Juden Auschwitz niemals verzeihen« hat sich mal wieder bewahrheitet. Wenn wir nicht unsere Stimme erheben, wird es keiner tun. Da helfen uns auch keine noch so hehren Ankündigungen in Koalitionsverträgen.
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