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29.Mai 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur
Ein Film und eine Ausstellung zum Thema »Deutsche verwerten ihre jüdischen Nachbarn«
3 Brotbrettchen, 1 Wintermantel, 1 Uhr, 1 Bett, 2 Spiegel, 4 Kochtöpfe... die Kamera fährt über Listen, endlose Aufzählungen – aus den Vermögenserklärungen, die Juden ab 1938 abgeben mussten. Wo sind die Millionen Teller, Teppiche, Bilder, Möbel geblieben? Jeder Deutsche müsste der Herkunft des Porzellans in seiner Vitrine misstrauen und sich fragen, ob der Schmuck, um den die Enkel streiten, tatsächlich von Uroma stammt.
Michael Verhoevens Film »Menschliches Versagen« spürt, begleitet von Historikern wie Götz Aly und Wolfgang Dreßen, den (erst vor sechs Jahren freigegebenen) »Arisierungsakten« nach, dem Papiernachlass der »Gefälligkeitsdiktatur«. Es geht nicht um bekannte Firmen und die erste Garde aus dem Geschichtsbuch, sondern um den »kleinen Mann«, die »lieben Nachbarn«, um »alle«. Die alle nichts gewusst haben. Und die alle Vorteile davon hatten, dass Juden »plötzlich weg« waren, nachdem sie vorher schon aus ihren Berufen, dann aus Büchereien, Straßenbahnen, Schwimmbädern und zuletzt aus den Wohnungen vertrieben wurden. Denn dank Berufsverboten wurden Posten frei, dank Deportationen Wohnungen, und die Bombenopfer in Köln erhielten die Kleider der Juden von Prag. Der Film liefert unaufgeregt und sachlich Beispiele individueller Vorteilsnahme aus der »Judenpolitik« und zeigt damit verbundene Schicksale.
Edgar Feuchtwanger aus London besucht das einstige Büro des Verlegers Ludwig Feuchtwanger in München. Edgar erzählt, wie die Nazis die Bibliothek seines Vaters »sicherstellten«. Dann musste er sein Haus abgeben, dann kam er nach Dachau. Auch die vergilbte Akte findet sich im Archiv. Und wieder: 2 Silberleuchter, 1 Bowlelöffel, Gebiss, Zwicker, Tortenschaufel. Sein Vater hatte Glück, er kann noch ausreisen, nach Entrichtung der »Reichsfluchtsteuer«. Der NS-Staat biegt Unrecht durch immer neue Gesetze in »Recht« um. Juden müssen dafür zahlen, dass man sie vertreibt und dafür, dass man ihnen in der »Kristallnacht« alles kurz und klein schlägt – zur Beseitigung der Schäden wird einfach eine »Judenvermögensabgabe« erfunden.
Das »Recht« produziert massig Papier – Steuerakte, Vermögensakte, Zwangsverkaufsakte, Pfandleihscheine – im besten Reichsdeutsch: Oberfinanzdirektion, Versteigerungsniederschrift, Unterschrift des Meistbietenden (neben der Spalte mit den 5 Unterhosen und 4 Hemden). Die Verfahren sind durchdacht, unzählige Behörden involviert. Für alles gibt es Formulare, auch mit vorgedrucktem »J«. Und Käuferlisten. Nichts ist anonym. Die Möbel werden offen vom LKW herunter verkauft, die »Versteigerung von jüdischem Besitz« ist in der Zeitung angekündigt. Jeder weiß genau, was er da kauft. Und in seiner Goldgräberlaune fragt der Bürger im Amt schon mal nach, wann denn die Nachbarn weg kommen und er in deren Wohnung kann. Das ist nicht die Gestapo, der Untermieter und der Finanzbeamte machen’s auch. Jeder hat was davon. Ganz ohne Gewalt. Gesetzlich und ordentlich.
Manchmal treibt die Ordnung seltsame Blüten. Alfred Schwarz, der die Idee hat, jüdische Rechtsanwälte und andere Kopfarbeiter umzuschulen, damit sie im Ausland überlebensfähig sein würden, gründet die »Kochschule Schwarz«. Beim Novemberpogrom wird sie demoliert, die Angestellten kommen nach Dachau. Da fangen Bürger plötzlich an zu protestieren – weil die Schule noch Außenstände bei ihnen hat. Und tatsächlich werden die Häftlinge entlassen und müssen die Schule wieder öffnen, um die Schulden abzuarbeiten.
Und nach dem Krieg, da geht die Ordnung weiter. Da müssen die Opfer beweisen, dass ihnen all die Stühle, Bilder und Tassen gehört haben. Oft stehen sie dabei vor demselben Beamten, der schon die Enteignung bearbeitet hat...
Erst der Job, dann die Wohnung, dann das letzte Hemd. Selbst für ihre Ermordung zahlen die Opfer. Totalverwertung wie bei den Termiten. Und der Goldzahn des ermordeten Juden? Selbst der, sagt Götz Aly, sei in den Staatshaushalt geflossen. Davon wurden Waffen, Brot und Milch gekauft: »Auch jeder deutsche Säugling hatte was davon«. Judith Kessler
Beim 15. Jewish Film Festival erhielt Michael Verhoeven für seinen Film den Preis für den besten deutschen Dokumentarfilm mit jüdischer Thematik.
_Der Kreis der Freunde der Habimah zeigt die Ausstellung »Deutsche verwerten ihre jüdischen Nachbarn« bis 30. Juni im Ausstellungspavillon am Denkmal für die ermordeten Juden Europas (täglich 11–19 Uhr). In dieser Zeit wird auch »Menschliches Versagen« dreimal täglich gezeigt.
jüdisches berlin
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